Archiv für den Monat: November 2016

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Die Untersuchung einzelner Symptome verspricht große Fortschritte in der Depressionsforschung

Trotz steigender Budgets und Ausgaben für Depressionsforschung bleiben wesentliche neue Erkenntnisse aus. Ursachen könn hier an verschiedenen Stellen liegen, was für das Krankheitsbild der Depression smyptomatisch ist.

Dabei bringen symptombasierte Studien, die einzelne Symptome in der jeweiligen Beziehung zu psychopathologischen Netzwerken erforschen, große Fortschritte. Insbesondere im Vergleich zur verbreiteteren Analyse der Summe einer großen Anzahl an Symptomen, die eher problematisch ist.

Die Hintergründe lassen sich auf the Inquisite Mind nachlesen.

 

Ein sich verändernder Beratungsfokus

Textauszug aus dem Buch von Detlef Barth (Hrsg.)

Beratungswissen auf den Punkt gebracht
Ein Handbuch für Studierende, professionelle Begleiter/-innen und alle, die es werden wollen

2. Beratung zwischen pragmatischer Konfliktbewältigung und individueller Lebensgestaltung: Ausblick auf einen sich möglicherweise verändernden Beratungsfokus (S. 218 – 221)

In diesem Textauszug geht es vor allem um den Gebrauch des Smartphones

An hypothetischem und empirischem Wissen mangelt es der Menschheit nicht. Davon gibt es genug, höchstens an der Bereitschaft oder dem Mut, menschenwürdiges Wissen in die Tat umzusetzen. Wissenschaft schafft Wissen, aber noch kein Können. Diese Aufgabe übernehmen in der Regel private Lehrinstitute für Beratung oder Psychotherapie. Auch wenn ‚lebenslanges Lernen’ zu einer basalen Maxime der Postmoderne geworden ist, sollte sie nicht zu einem rein utilitaristischen Prozess werden. Das schafft ‚Scheinwissen’ und kein Wissen der Erkenntnis wegen. Wir lernen nicht, um des Lernens willen, sondern um Herausforderungen und Probleme zu lösen, vielleicht auch hier und da, um mehr Bewusstheit zu entwickeln und unser Bewusstsein zu erweitern. Diese beiden Ziele scheinen aber nur für wenige Menschen von Bedeutung zu sein.

Angesichts der vielen Menschen, die unter psychosozialem Druck aufgrund von steigender Arbeitsbelastung, hohen Flexibilitätsanforderungen, ungesicherten Arbeitsplätzen leiden, bis hin, dass viele von ihnen psychisch erkranken, gilt es, mehr denn je, das Thema persönliche, partnerschaftliche und mitmenschliche Lebensqualität zu entdecken. Das benötigt allerdings auch ein verändertes Bewusstsein von Beratung im Allgemeinen und Speziellen. Kurzzeitberatungen sind durchaus indiziert bei der Lösung pragmatischer Problemstellungen, die durch einen Perspektivenwechsel erreicht werden können. Geht es hingegen um veränderte Verhaltensweisen (und nicht nur um veränderte Einstellungen), dann benötigt Einzel- oder Gruppenberatung Zeit und Muße, um Klienten Gelegenheit zu geben, wesentliche Ziele, eigene Bedürfnisse und Wünsche zu erkennen, und sie darin zu unterstützen, Ziele, Bedürfnisse und Wünsche auch umzusetzen. Die mittlerweile viel beschworenen Kurzzeitberatungen und -therapien dürfen nicht darüber hinwegtäuschen: Kurzzeitbegleitungen spiegeln auch den Zeitgeist einer Instant-Gesellschaft wider, die Menschen suggeriert, alles sei machbar und habe schnell (‚just in time‘) von statten zu gehen, denn ‚Zeit ist Geld‘ und Aufschub Ausdruck mangelnder Professionalität. Das mittlerweile liebste Spielzeug für Jung und Alt, das Smartphone, macht es möglich, diese regressive Instant-Mentalität zu befriedigen. Der Preis dieser postmodernen technischen Errungenschaft ist nicht selten eine neue Abhängigkeit. Hier sollte sich jeder Smartphone-Nutzer einmal die Frage stellen: „Beherrsche ich mein Smartphone oder beherrscht mein Smartphone mich?“ Hinzu kommt, dass der ständige Gebrauch dieses Geräts Menschen abschneidet von dem, was einzig und allein real und kostbar ist: das Erleben der Gegenwärtigkeit. Doch das wird durch die ständige Beschäftigung mit der virtuellen Welt des Smartphones vermieden. Schaut man sich in Wartezonen (Bushaltestelle, Flughafen, Bahnhof, U-Bahn) oder auch in der Fußgänger-Zone einmal genauer um, dann fällt auf, wie wenig sich die Menschen noch gegenseitig wahrnehmen und konkrete Kontakte herstellen. Stattdessen sind sie damit beschäftigt, sich virtuell zu informieren, zu kommunizieren oder ggf. Langeweile oder Einsamkeitsgefühle zu überbrücken.

In einer Welt der ständigen Veränderungen und einer damit einhergehenden Rat- und Orientierungslosigkeit, mitbedingt durch Bedeutungsverlust klassischer unterstützender Instanzen wie Familie und Kirche, ist es nicht verwunderlich, wenn Menschen sich durch ihr Smartphone Gefühle von Sicherheit und Geborgenheit borgen, auch wenn es sich letztendlich um Scheinsicherheit und Scheingeborgenheit handelt. Ist das Smartphone möglicherweise auch unbewusster Mutterersatz? So wie die Mutter in der Kindheit (stets) verfügbar war, oder aus Sicht des Kindes hätte sein sollen, könnte diese Funktion nun mittels Smartphone kompensiert werden. Mag sein, dass dieser Vergleich gewagt und recht spekulativ ist, auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, wie stark dieses Medium den Alltag und die Zeitstruktur von Menschen bestimmt.

Moderne Beratungsangebote sollten dem Thema ‚Lebensqualität, Lebensgestaltung bzw. Lebensgestaltungsmöglichkeiten‘ Rechnung tragen, und das Individuum durch geeignete Beratungsmodi dabei unterstützen, „Lebensräume und Nischen zu suchen, zu finden und zu wählen, die Menschen erlauben, so zu sein, wie sie sind“ (Nestmann in Nestmann 2013, S. 1403). Im Rahmen einer Einzel- oder Gruppenberatung zur Lebensgestaltung kann es nicht nur darum gehen, anstehende pragmatische Probleme zu lösen. Vielmehr gilt es auch, „Individuen dazu zu befähigen, aus hilflosen Opferrollen herauszutreten, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen und zukunftsfähige Gefüge und Beziehungen im alltäglichen wie beruflichen Leben zu entwickeln“ (Kupfer et al. in Nestmann 2013, S. 1385). Hier bietet sich vor allem die Gruppenberatung als eine sinnvolle Beratungsform an, um Menschen in Kontakt zu bringen mit sich selbst (ihren Kompetenzen, Energieressourcen, Energieräubern, wirklichen Visionen und Zielen, aber auch mit kleinen und großen Schwächen, die zum Menschsein dazu gehören) und auch mit anderen Menschen, um einen direkten zwischenmenschlichen Austausch an neuen Ideen und Anregungen für die eigen Lebensgestaltung zu fördern.

Gruppenberatung kann auch dazu beitragen und sich protektiv auswirken, wenn es bspw. darum geht, „bewusst auszutreten und ein soziales System gezielt zu verlassen, neue soziale Lebenswelten, Kommunikationskreise zu suchen, die sensibler und offener für persönliche Anliegen sind, und dort eine neue Identität zu entwickeln“ (Nestmann in Nestmann 2013, S. 1403). Inwieweit in anderen Lebenswelten dann tatsächlich eine ‚neue‘ Identitätsentwicklung stattfinden kann, erscheint fraglich, da ‚Identität‘ nicht etwas ist, was das Individuum sich selbst gibt, sondern das Resultat von externen parentalen Botschaften, Zuschreibungen (oder neurobiologisch betrachtet ein Spiegelungsprozess) und sozio-kulturellen Gegebenheiten, in die jemand hineingeboren wurde. Die Kernfrage: „Wer bin ich?“ lässt sich meines Erachtens eben nicht wirklich klar beantworten, da jede Antwort zugleich eine Begrenzung meiner Persönlichkeit darstellt. Wenn ich bspw. sage, „Ich bin der und das“ oder „Ich bin die und das“, dann schließe ich zugleich viele andere Aspekte, die auch zu meiner Person gehören, aus. Identität ist nichts Statisches, sondern immer etwas Fließendes, da Identitätsvorstellungen in der Regel reine Re-Konstruktionen sind, die in der Konfrontation mit unterschiedlichen Personen und auch in unterschiedlichen Situationen, sich verändern können. In einem Fall fühlen Individuen sich als missbrauchtes ‚Opfer‘, im anderen Fall als missionierender ‚Retter‘ und wieder ein anderes Mal als selbstgerechter ‚Verfolger‘ oder ‚Täter‘. Diese Rollen haben Menschen am Modell engster Bezugspersonen gelernt.